Regisseut Jan Neumann feiert mit seinem Ensemble die Uraufführung der KOMÖDIE DER EINSAMKEIT
Lässt sich ein schwer zu greifendes Phänomen namens Einsamkeit, das seit einiger Zeit in Deutschland im Mittelpunkt einer gesellschaftlichen Diskussion steht; in anderen Ländern wie Japan bereits so große Bedeutung erlangt hat, dass es seit dem 1. April 2024 per Gesetz bekämpft wird, in eine komödiantische Form bringen? Regisseur Jan Neumann ist dieser Auffassung und hat zusammen mit seinem Ensemble das Kammerspiel KOMÖDIE DER EINSAMKEIT konzipiert, das sich auf die kleinste Einheit der Gesellschaft stützt und stürzt: Die Familie. In diesem Mikrokosmos findet sich seit jeher reichlich Stoff, um der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten, ohne die individuellen Züge der Figuren zu vernachlässigen.
Die Zuschauer begegnen einer Familie, wie sie häufig anzutreffen ist. Da ist Tobi (Daniel Stock), verheiratet mit Betty, die einen stressigen Job im Krankenhaus hat und im Stück nie in persona auftaucht. Ihr gemeinsamer Sohn Marco (Paul Michael Stiehler) steckt mitten in der Pubertät und hat sich selbst von seiner Familie und seinen Mitmenschen isoliert, was bei Vater Tobi zu nachgerade panisch-paranoiden Maßnahmen führt, wie das Handy seines Sohnes zu tracken oder den Staubsaugroboter regelmäßig in dessen Zimmer fahren zu lassen, um zu erkunden, ob dieser sich nicht bereits an der Zimmerlampe erhängt hat. Was hier makaber klingen mag, birgt in seiner übertriebenen Art eine große Komik, da jeder merkt, dass Vater Tobi einfach nicht mit seinem Sohn klar kommt, so wie viele Eltern, wenn ihre Kinder anderes pubertieren als gewünscht. Dazu gehört auch Tobis Schwester Bea(trix) (Sophie Basse), die frisch geschieden ist und ihre Tochter Anna (Birte Schrein) zwar nicht zwanghaft, rund um die Uhr beaufsichtigt, aber ebenso wenig mit ihr klar kommt, da Anna nichts von dem aufweist, was Bea sich wünscht: eine starke, gutaussehende junge Frau, die etwas aus ihrem Leben macht. Stattdessen spricht Anna mit einem digitalen blauen Huhn, das ihre geheimsten Wünsche kennt und sie manchmal sogar in Ansätzen erfüllt. Bea und Tobi ihrerseits haben ein angespanntes Verhältnis zueinander, weil natürlich jeder von sich behauptet, das Richtige für sein Kind zu tun und sie zugleich nicht merken, dass vielleicht sie diejenigen sind, die Hilfe brauchen, weil sie einsam sind. Wenn familiäre Kommunikation nicht funktioniert, ist es kein weiter Weg von der Vereinzelung zur Vereinsamung. Und da ist Opa Werner (Bernd Braun), der Vater von Bea und Tobi, dessen Frau Gerda seit nunmehr zwei Jahren tot ist, genau wie sein wesentlich mehr geliebter Hund Andreas. Opa Werner, Trinker und nicht mehr ganz auf der Höhe findet bei seiner Familie weniger Gehör als bei seinen Freunden von den Hundigassigängern.
Zunächst verbindet die Familie, die in ihrem alltäglichen Leben zu beobachten ist, nur ihr Äußeres: In ihren gepunkteten Kostümen wie auch mit ihren identischen Haarfarben wirken die Familienmitglieder wie Zirkusdarsteller und präsentieren sich auch wie solche. Auf Podesten bekommt jeder seine Chance, von seinem Innenleben zu erzählen, also von dem, was er mit den anderen in der Familie nicht teilen kann oder will. Als derartige „Bühne“ dient etwa ein Felsblock, dessen angedeutete Wasserlinie an die Einsamkeit der Nordsee erinnert. Wie verlorene Möwen hocken die Darsteller dort. Die aus dem Hintergrund dominierende Leinwand mit einem leeren, grauen Wolkenhimmel gehört in dieselbe Kategorie. Hier wird Einsamkeit nicht in Worten artikuliert, sondern bildlich in Szene gesetzt (Bühne und Kostüme: Dorthee Curio).
Daniel Stock und Sophie Basse als Tobi und Bea brillieren in ihren Rollen. Sie haben die nötige Intensität, um die Persönlichkeiten ihrer Figuren nicht ins Skurrile oder Alberne abdriften zu lassen, denn auch sie erscheinen letztlich als verletzliche Menschen, die, man muss es sagen, einsam sind. Birte Schrein als Anna sowie in kleineren Nebenrollen trifft in genialer Weise den motzig-verschüchterten Ton einer Pubertierenden, so dass sie sogar bewundernde Kommentare aus dem Publikum erhält. Paul Michael Stiehler als Marco, obwohl aufgrund seiner Rolle von allen am schweigsamsten, zeigt sich als wandelbar, wenn er in weitere Nebenrollen schlüpft und trägt auch zur musikalischen Untermalung des Abends bei. Bernd Braun als Werner verkörpert das Urbild eines schon leicht debilen Großvaters, dem es an Herzenswärme für seine Kinder und Enkel mangelt, dem dafür aber eine gewisse Gelassenheit im Umgang mit dem Leben zu eigen ist. Das Gespräch zwischen ihm und seiner Enkelin Anna gehört sicher zu den eher anrührenden Szenen des Abends.
Jan Neumann, der zuletzt in Bonn DIE KINDER von Lucy Kirkwood inszenierte, und Dramaturgin Carmen Wolfram greifen im Stück auf klassische Formen der Komödie mit pointierten Dialogen und Situationskomik zurück. Neumann gelingt es, das Phänomen Einsamkeit als wichtiges Thema der Gesellschaft hinzustellen, aber zugleich zu entlarven, dass Einsamkeit manchmal weniger an den äußeren Umständen zu erkennen ist. Die Einsamkeit seiner Figuren wird erst deutlich, wenn sie ihre geheimen Wünsche offenbaren, denn einsam oder allein sein, sind nicht dasselbe. Das macht Jan Neumanns Stück sehr deutlich. Ob die Familie, die Gesellschaft oder die Politik verstanden haben, was Einsamkeit eigentlich ist, bleibt dennoch offen und das ist gut so.
Die rund zwei Stunden haben vielleicht an ein oder zwei Stellen kleine Längen, die aber wegen der Intensität der Darstellung auch gebraucht werden. Gerade auf einer kleinen Bühne wie der Werkstatt. Der lang anhaltende und enthusiastische Applaus bei der zweiten Aufführung, die Theatral besucht hat, zeugt von einem sehr begeisterten Publikum, das die gelungene Balance zwischen Komödie und Gesellschaftskritik zu schätzen wusste.
Rebecca Telöken

