„Ich bin der arme König Salomo“

(Vorschaubild (c) Thilo Beu)

Wenn Wissen die Welt bedroht

Mit „Die Physiker“ von Friedrich Dürrenmatt, brachte das Theater Bonn Anfang November einen weiteren bekannten Klassiker auf die Bühne der ausverkauften Kammerspiele und feierte somit die fünfte Schauspielpremiere dieser Spielzeit. Die Tragikomödie des Schweizer Schriftstellers, die auch heutzutage häufig auf dem Lehrplan von Schülern steht, bekam durch den Bonner Regisseur Simon Solberg neues Leben eingehaucht.

Die Handlung dürfte dem Großteil des Premierenpublikums bereits vor Beginn der Vorstellung ein Begriff gewesen sein: In einer Villa, die zu einem Sanatorium umgewandelt wurde, geschehen grausame Morde an Krankenschwestern. Tatsächlich sind die Täter bekannt. Es handelt sich um Herbert Georg Beutler, der sich für den berühmten Physiker Newton hält und Ernst Heinrich Ernesti, der ebenfalls der Annahme verfallen ist, er sei Albert Einstein. Beide waren mit den von ihnen ermordeten Krankenschwestern liiert und sahen keine andere Möglichkeit als diese zu ermorden. Die Morde rufen zwar die Polizei auf den Plan, doch die ist machtlos, da ihre Täter bereits eingesperrt sind und sich somit der Justiz entziehen, selbst wenn Kriminalinspektor Richard Voss nicht verstehen kann, warum man seine Geliebte ermorden muss, nur weil sie einen liebt. Vor allem die Leiterin des Sanatorium Fräulein Dr. Mathilde von Zahnd, die das Anwesen von ihrem Vater geerbt hat, setzt sich vehement für den Verbleib und die intensivere Behandlung und Überwachung ihrer Patienten ein.

(c) Thilo Beu

Auch Johann Wilhelm Möbius, dem angeblich der König Salomon aus dem Alten Testament erscheint, gehört zu den außergewöhnlichen Patienten. Bei ihm weiß man, dass er einst ein genialer Physiker gewesen sein muss, bevor er anfing von Salomon zu reden. Seine Frau, die lange Zeit seine Unterbringung in der Anstalt bezahlt hat, besucht ihn, um ihm mitzuteilen, dass sie noch einmal heiraten werde, einen Pfarrer. Nachdem die Scheidung vollzogen ist, taucht Oberschwester Monika auf, die ebenfalls wie ihre Vorgängerinnen in den Physiker verliebt ist und sich sicher ist, dass er nicht nur nicht verrückt, sondern vor allem einem Meilenstein in der Physik auf der Spur ist: der Weltformel.

Was zu diesem Zeitpunkt keiner ahnen kann, ist, dass hinter dem scheinbaren Wahnsinn dieser drei Patienten weniger Irrsinn zu steckt als man zuerst glauben mag. Dennoch versteckt das Sanatorium ein Geheimnis, das erst gegen Ende seine vollen zerstörerischen Ausmaße annimmt.

Ähnlich wie bei den Produktionen WOYZECK oder BND – BIG DATA IS WATCHING YOU überrascht auch diese Solberg-Inszenierung mit einem ebenso interessanten wie raffiniertem Bühnenbild (S. Solberg). Um den Konflikt zwischen dem Leben im Inneren der Anstalt und der Abgeschiedenheit von der Außenwelt, der Zwischenebene, der Kontrolle der Irrenärztin und der Außen- bzw. wirklichen Welt möglichst gut darstellen zu können, bespielt das Ensemble gleich drei verschiedene Bühnenebenen. Während der Großteil der Bühne von einer gigantischen, runden Schneekugel, dem Lebensraum der Insassen der Anstalt, in dessen Mitte sich eine Art Teich oder Schwimmbecken befindet, eingenommen wird, sind die Ränder der Bühne der Platz von Fräulein Dr. von Zahnd (Sophie Basse). Thronend auf einem gemütlichen Ledersessel kontrolliert sie nicht nur ihre Patienten, sondern scheint durch zwei oben an der Seite der Bühne installierten Fernseher mit Nachrichten auch noch den Rest der Welt observieren zu wollen.

(c) Thilo Beu

Der Abend hält viele kleine, detailreiche Einfälle bereit, wie z.B. eine aufgemalte Geige auf Ernestis (Holger Kraft) Rücken, die zum einen an Man Rays berühmte surreale Fotografie erinnert zum anderen schlicht auf den Text verweist, in dem Ernesti häufiger mal Geige spielt zum Leid der anderen.

Beutler alias Einstein hingegen ist ausstaffiert wie ein Sportler oder Schmetterlingsjäger, das Fangnetz stets zur Stelle, allerdings sonst an dem Geschehen um ihn herum eher uninteressiert. Möbius (Sören Wunderlich) hingegen läuft hauptsächlich in Unterwäsche über die Bühne und malt abstrakte Bilder. Eben Therapiemethoden, wie sie teilweise auch heute noch gerne angewendet werden – Musik-Kunst-Sport.

An einigen Stellen wurde die Handlung verändert oder durch gut gewählte Regie-Einfälle erweitert. Somit tritt der Inspektor (Manuel Zschunke), zuständig für die Aufklärung der Morde, zunächst durch den Zuschauerraum auf und fungiert im Laufe des Stückes als eine Art „Erzähler“ oder neutraler Beobachter, um dem Zuschauer im Chaos der Anstalt, einen roten Faden bieten zu können. Des weiteren wird die Illusion der Schneekugel, die durch das Bühnenbild erzeugt wird nicht nur durch das Spiel der Darsteller, die pantomimisch den Wänden der Glaskugel folgen sondern vor allem durch die Irrenärztin vollständig in die Inszenierung integriert. Sie besitzt eine Miniaturschneekugel und beginnt diese jedes Mal zu schütteln, wenn die drei Physiker ein Stückchen zu nah an die Wahrheit geraten. Die Folgen scheinen frappierend: während es durch das Schütteln der kleinen Horrorkugel, auch auf der Bühne zu schneien beginnt, rollt parallel eine riesige Tablette über die Bühne, um die Betäubung und Blendung der drei Hauptpersonen durch Medikamente zu symbolisieren. Aus diesem Grund, scheinen sie ihre Gefangenschaft mittlerweile gar nicht mehr wahrzunehmen.

Besonders ergreifend sind die Dialoge zwischen Möbius und seiner Ex-Frau bzw. Oberschwester Monika (Johanna Falckner), die zusammen ein tolles Duo abgeben und die ganze Dramatik der Lage hervorheben.

(c) Thilo Beu

Eine eindeutig andere Konnotation erhält die Inszenierung durch einen eingebrachten Gedanken Solbergs, der besonders durch die Krankenschwester Monika vermittelt wird:

Ist es nicht ethisch vertretbarer mögliche Gefahren für die Menschheit offen zutage zu Tragen als sie hinter verschlossenen Mauern totschweigen zu wollen, wie es bei Dürrenmatt eigentlich der Fall ist? Ist es dann nicht umso notwendiger sich der Tragweite seiner Taten bewusst zu sein, so unvorstellbar sie auch sein können (bekannt als Schmetterlingseffekt)?

Von der Regie, über die Kostüme (Franziska Harm) und das Licht (Sirko Lamprecht), bis hin zur Dramaturgie (Jens Groß), hat das gesamte Team hinter der Bühne sehr gute Arbeit geleistet, um einem bekannten Klassiker etwas Neues und Modernes zu verleihen und eine neue Interpretation, dennoch logisch, mit der bestehenden Handlung zu verflechten. Durch das Ensemble auf der Bühne, dem sichtlich alles abverlangt wurde und der hervorragenden schauspielerischen Leistung durch Sophie Basse, Johanna Falkner, Manual Zschunke, Glenn Goltz, Holger Kraft, Sören Wunderlich und René Fiegen (Pflegerin), wurde ein amüsanter und unterhaltender Abend kreiert, der für diejenigen, die das Original bereits kennen interessante und neue Einblicke bereithält und für diejenigen, die das Stück nicht kennen, ein erlebnisreicher Abend ist, der mit vielen Effekten, Anspielungen und gut verständlichen Dialogen aufwartet.

Kim Sterzel

 

 

 

 

 

 

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