
(Vorschaubild (c) Thilo Beu)
Diese Maxime zieht sich durch die gesamte Inszenierung von Der Entertainer (John Osborne), die am 12.12.2015 in den Kammerspielen Premiere feierte
Wie in den 50er Jahren tönt muntere live-Klaviermusik(Valerij Lisac) durch den Zuschauerraum. Die Bühne (Matthias Nebel) ist eingerahmt von goldenen Lamettavorhängen, alles glänzt und funkelt. Der Vorhang hebt sich und der einstige Showstar eines Stadttheaters – Billy Rice alias Wolfgang Rüter – schwelgt im rosaglitzerfarbenen Anzug (Kostüme: Britta Leonhardt) in Erinnerungen an seinen vergangenen Ruhm. Im Hintergrund das Skelett seiner Wohnung. In seinem Monolog wird er von seiner Enkelin Jean (Mareike Hein) unterbrochen, die überraschend zu Besuch kommt. Bald ist die ganze Familie dort versammelt: Archie Rice (Glenn Goltz), Sohn und Erbe des Stadttheaters, Phoebe, seine Frau (Sophie Basse) und Frank, ihr Sohn (Daniel Breitfelder).
Die Familie ist ein Trümmerhaufen. Archie, skrupellos und wie er selbst sagt, völlig gefühllos, feiert seine zwanzig jährige Enthaltsamkeit als Steuerzahler und versucht damit alles, um sein Theater vor dem Ruin zu bewahren (eigentlich ist aber nichts mehr zu retten). Billy Rice, in Würde gealtert und von Demenz geplagt, liegt im Dauerstreit mit Phoebe und hat den Untergang des Theaters schon lange kommen sehen. Phoebe, an sich herzensgut, aber hysterisch, wenn es um ihren älteren Sohn Mick geht, der als Soldat am Suez-Kanal kämpft. Kaputte Elektrogeräte regen sie genauso auf wie Archie, der sich sein eigenes Scheitern nicht eingestehen kann. Jean, von Natur aus eigentlich eher schüchtern, hat sich mit der Zeit zur Moralpredigerin ihres Vaters und emanzipierten Frau entwickelt – weshalb sie auch ihre Liaison mit ihrem Verlobten gelöst hat, der sie in ihrer Freiheit einschränken will. Schließlich Frank, Nesthäkchen und Frauenimitator in Archies Show: Nachdem er im Gefängnis saß, weil er im Gegensatz zu seinem Bruder den Militärdienst verweigerte, verbleibt er im elterlichen Haus ohne wirkliche Perspektive. Ohne Geld, aber mit viel Alkohol, feiert die Familie ihre Dekadenz und Micks bevorstehende Rückkehr aus dem Krieg. Im Rausch kommen die sorgsam verdrängten Wahrheiten ans Licht und lassen die Situation immer wieder eskalieren.
Parallel dazu geht auch Archies Show den Bach runter, was dem Zuschauer durch flache Witze und Gesangseinlagen, anstelle der versprochenen Showgirls, fast schon schmerzlich verdeutlicht wird. Zum Bruch kommt es schließlich nach der Beerdigung von Mick, der es, anders als erwartet, nur im Sarg nach Hause geschafft hat. Jean versucht, die bevorstehende Verlobung ihres Vaters mit einer zwanzig jährigen Kellnerin zu verhindern, erfährt dabei jedoch, dass ihr Großvater bereits die Verbindung zum Platzen gebracht hat. Aus Schuldgefühlen verspricht dieser seinem Sohn, wieder in seiner Show aufzutreten – gemäß dem Motto: „Die Leute kommen zwar nicht wegen Archie Rice, aber sie erinnern sich vielleicht noch an Billy Rice.“ Der Applaus ist tosend aber zu viel für den Alten. Archie steht nun endgültig vor den Trümmern seiner Existenz und schreitet seiner schon lange fälligen Begegnung mit dem Mann vom Finanzamt entgegen. Seine letzten Worte an die Zuschauer: „Sie waren ein gutes Publikum. Sagen Sie mir doch, wo Sie morgen Abend arbeiten. Dann komme ich und schaue Sie an“
Die dargebotene Inszenierung konnte sich sehen lassen. Es ist schon beinahe brillant, wie Wolfgang Rüter es schafft, in seiner Figur Würde und Erschöpfung miteinander zu verbinden. Glenn Goltz überzeugt als glorreiches Arschloch und schafft es trotz schlechter Witze ,das Publikum in seinen Bann zu ziehen. Tiefgreifend verkörpert Sophie Basse die gegensätzlichen Gefühlsausbrüche Phoebes: Sie schreit, singt und lacht sich den Frust von der Seele. Auch wenn Mareike Heins Jean anfänglich von der Darstellung etwas hinter den anderen Figuren zurück bleibt (manche Textpassagen wirkten etwas aufgesetzt), steigert sie sich im Verlauf des Abends spielerisch und gibt ihrer Figur die nötige Prägnanz zurück. Der Meister des Kostümwechsels, Daniel Breitfelder, spielt mehrere Rollen gleichzeitig. Egal ob Gentleman, Mamas Liebling, Transvestit oder singender sexy Bauarbeiter – er scheint sich in allen Rollen wohl zu fühlen und geht sogar auf Tuchfühlung mit den Zuschauern. Die musikalische Begleitung in Form des Pianisten Valerij Lisac sorgt für eine angenehme und lebendige Atmosphäre sowie das ein oder andere Augenzwinkern.
Einfach aber wirkungsvoll schafft es Sebastian Kreyer (Regie), durch das Hoch- und Runterfahren des goldenen Lamettavorhangs, die Parallelität von familiärem Leben und Showbusiness darzustellen, die sich in der Figur des Archie Rice und seiner ganzen Sippe miteinander verbinden. Zwei Highlights waren dabei definitiv die Gesangseinlage der als Seesterne verkleideten Familie Rice, die irgendwie niedlich und traurig zugleich anmutete. Außerdem Daniel Breitfelder als Transvestit, der den Übergang zu Micks Tod durch absichtlich immer geschmacklosere Späße wie: „Was ging Lady Di als letztes durch den Kopf ? – Die Windschutzscheibe“, einleitet.
Lang und breit – ein bisschen wie das Sterben auf der Titanic – wird dem Zuschauer in Kreyers Inszenierung der Untergang von Archies Theater vor Augen gehalten, sodass die merklich vorhandenen Längen durchaus ihre Berechtigung finden. Dabei wird das Schicksal der Rice’schen Kleinkunstbühne immer wieder auch demjenigen des Bonner Stadttheaters gleichgesetzt. Die eingestreuten Anspielungen auf fehlende Kantine und marode Decken sind zwar eindeutig und auch wichtig, allerdings hinkt der Vergleich zwischen Archies Bemühungen und denen des Theater Bonns etwas. Wollen die Kammerspiele etwa genauso skrupellos vorgehen wie Archie Rice oder soll dies ein Hilfeschrei sein, um auf die derzeitige Situation des Theaters aufmerksam zu machen? Wir hoffen letzteres. Bis dahin: The show must go on!
Katharina Wigger & Rebecca Telöken
Die nächsten Termine von The Entertainer: http://www.theater-bonn.de/spielplan/gesamt/event/der-entertainer/vc/Veranstaltung/va/show/