EIN ZWIESPÄLTIGER KÖNIGSWEG

Mit ihrem Stück AM KÖNIGSWEG reagierte die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek 2017 auf die erste Wahl des nun wieder an den Hebeln der Macht sitzenden US-Präsidenten Donald Trump. Um dem Stück Aktualität zu verleihen, hat das Theater Bonn es um einen Jelinek-Text aus dem vergangenen Jahr mit Namen ENDSIEG* erweitert. Am 24. Januar feierte diese fusionierte Stückfassung von Katrin Plötner im Schauspiel Bonn seine Premiere.

Zu Beginn versinkt der gesamte Zuschauerraum im Nebel. Ein einzelnes Streichholz glimmt auf der Bühne – in einer Welt, in der nichts mehr zu sehen ist. Als der Nebel sich lichtet, steht die Welt in Flammen, symbolisiert durch einen Vorhang, der mit loderndem Feuer bedruckt ist.

Allerlei seltsame Gestalten tummeln sich auf der Bühne. Foto: (c) Matthias Jung

Jelineks vielstimmiger Text ist eine Herausforderung. Regisseurin Katrin Plötner lässt die Polyphonie des Stücks in großer Besetzung erklingen. Gleich sieben Schauspieler*innen verkörpern kleine Könige (Sophie Basse, Ursula Großenbacher, Lydia Stäubli, Christian Czeremnych, Wilhelm Eilers, Christoph Gummert, Timo Kählert). Kümmerliche Könige mit bunten Filzkronen, in Bademänteln und Latschen, mehr Karikatur ihrer selbst als Abbild eines Großen, der sich für gottgleich hält (Kostüme: Johanna Hlawica). Diese kleinen Könige sind aber auch das Volk und „die Arbeiters“. Letztere erscheinen als Aliens mit verschiedenfarbigen Köpfen; schüchtern lugen sie immer mal hinter den Vorhängen hervor, verängstigt, entdeckt und abgeschoben zu werden. Diejengen, die ihre Stimmen unliebsam hören lassen, vielleicht sogar aus dem Volk, werden wie Jagdtrophäen ans Bergmassiv geheftet. Mancher Berg steht sogar auf dem Kopf – die ganze Welt steht Kopf, seitdem dieser König seine Herrschaft angetreten hat (Bühne: Bettina Pömmer).

Offenbar arbeiten sich die Figuren an der US-Gesellschaft und der Wahl von Donald Trump ab. Der Name Donald Trump fällt zwar nie, aber wer soll der „blinde König“, der „die Nachbarn zu den Nachbarn zurückschicken will“, der seine „Anschauung wechselt wie andere die Wäsche“ sonst sein?

Und warum ist der König blind? Hier greift Jelinek tief in die Mythologie-Kiste: Homer berichtet vom blinden Seher Teiresias – einem Weisen, der Katastrophen vorhersieht, vor ihnen warnt, aber nichts tun kann, um sie zu verhindern. Teiresias sieht die Wahrheit und verkündet diese; genau das will auch der König. Indem er selbst der einzige Blinde wird, kann er den Wahrheitsanspruch für sich deklarieren. So heißt es dann auch: „Sie [das Volk] werden hören wie die Wahrheit fällt, weil sie keiner stützt“.

Ein König kommt nicht aus dem Nichts. Jelinek klagt nicht nur den König, sondern genauso das Volk an, das diesen erst zum König erhoben hat und nun mit den Konsequenzen wird leben müssen. Das Volk spricht: „Wir folgen ihm, dabei verfolgt er uns längst“ – die Beziehung zwischen Volk und König ist gestört. Das blinde, aber nicht weise Volk hat sich selbst zu Sklaven machen lassen. Der König versteht sich indessen längst als Messias („nur der König sagt und ist die Wahrheit“), ja als Gott, der der Welt Frieden bringen soll. Doch was ist das für ein Frieden? „Der ewige Frieden droht, denn dann bleibt alles wie es ist“. Das sonst so hoffnungsverheißende Wort Frieden wird zur Drohung. Der König hat die Gewalt und wendet sie an, um seine Ziele zu erreichen, die im Sinne des Volkes sein sollen. Eine Gewalt, die aber genauso im Volk schwelt, die sich gegen „die Arbeiters“ richtet, die nicht zur weißen Rasse zählen.

Wer bringt die Hoffnung in diese dunkle Welt? Foto: (c) Matthias Jung

Jelineks Text ist ein einziges polyphones Gebilde ohne Rolleneinteilung und (fast) ohne Absätze. Er walzt schwer über das Publikum. Mit Wortspielen, die bisweilen geradezu tödlich ins Schwarze treffen, wenn in einem Satz mehrere Perspektiven gleichzeitig beleuchtet werden, witzig und bedrohlich zugleich.

Ohne Zweifel leisten die Schauspieler*innen Enormes. Es gelingt ihnen, ihren im Wechsel vorgetragenen Monologen eine gewisse Dynamik zu gebe und auch eine gewisse persönliche Note zu verleihen. Dennoch wirken diese Texte häufig belehrend und die immer wiederkehrenden Wortwitze und Anspielungen sind nach der Hälfte der Zeit schon abgenutzt.

Auch wenn das Stück stark beginnt und endet, befällt die Zuschauer*innen bald eine gewisse Müdigkeit, da die Fülle der Worte zu viel wird. Da helfen weder die zwischenzeitlichen Gesangseinlagen, wie das gerappte „Wir wollen die Bubble, wir wollen das Neue, was das Alte ist“ (Musik: Johannes Hofmann), noch Anspielungen auf aktuelle Ereignisse weiter. So rufen etwa die Schauspieler auf der Bühne chorisch „Heil, Heil, Heil“ und erinnern damit an die Geste von Elon Musk bei der Amtseinführung von Donald Trump, die einem Hitlergruß auffällig ähnelte.

Schließlich drehen sich die Aussagen in gewisser Weise im Kreis – ein Teufelskreis zwischen König und Volk? Das liegt natürlich auch an dem assoziativen Schreiben Jelineks, allerdings hätten Dramaturgie (Sarah Tzscheppan) und Regie hier steuernder eingreifen können. Immer wieder droht der Faden verloren zu gehen, wodurch der Text letztlich an Stärke einbüßt.

Wir haben es also mit einem geteilten Königsweg zu tun: Einer starken ersten Hälfte und einer zweiten Hälfte, der es nicht an Einfallsreichtum mangel, da Plötner viele Ideen einbringt, sich jedoch möglicherweise genau darin etwas verliert. So schien auch das Publikum am Ende zwischen Standing Ovations und anerkennenden Beifall unentschieden zu sein.

Und doch: Jelineks Sprache von hervorragenden Schauspieler*innen vorgetragen zu hören, lohnt sich allemal. Am besten macht man sich selbst ein Bild.

Rebecca Telöken /Jorg Stephan Kahlert

Gewinner oder Verlierer? Jeder König ist ein wenig anders und doch buhlen alle um die Macht. Foto: (c) Matthias Jung

(*) Den Text könnt ihr kostenlos auf der Website von Jelinek lesen. Einfach dem eingefügten Link folgen.