Mit der Aufführung von FABIAN ODER DER GANG VOR DIE HUNDE feierte der Kästner Roman als Theaterstück am 22.09.2023 seine Premiere im Schauspielhaus. Mit dessen Inszenierung wagt sich das Theater Bonn weiter ins Experimentelle.
Die Geschichte basiert auf Erich Kästners wohl bekanntesten Roman Fabian. Die Geschichte eines Moralisten, die Kästner 1931 veröffentlichte. Allerdings unterlag diese erste Fassung einer Zensur – wegen erotischer Szenen, die heutigen Lesern sicher harmlos anmuten. Erst 2013 wurde die ungekürzte Fassung veröffentlicht mit dem ursprünglich geplanten Titel: Der Gang vor die Hunde. Letzten Endes treffen beide Titel den Kern des Romans. Fabian, zu Beginn ein Moralist mit guten Vorsätzen, erfährt zunehmend die Unmoral der 30er Jahre, gerät zwischen Parteiideologien, Sitten- und Gesellschaftsfragen aus denen er sich selbst nicht mehr zu retten vermag.

Wer sich gerne spannende Krimis ansieht oder die chronologische Entwicklung von Figuren im Theaterstück genießt, der ist in dieser Aufführung falsch. Stattdessen hat sich Regisseur Martin Lamberenz für eine Aneinanderreihung von sich zum Teil wiederholenden Szenen und Charakteren entschieden, die mit ganz eigenen Zielen und auch anscheinend eigenen Realitäten agieren und eher gezwungenermaßen miteinander interagieren. Hier kommen Fans des Filmregisseurs Wes Anderson auf ihre Kosten, dessen Filme auch mehr Wert auf die Darstellung als auf die Handlung an sich legen.
So ist es hier wichtiger auf die Inszenierungsdetails an sich einzugehen und ihren Einfluss auf die Bedeutung für die Handlung zu vernachlässigen: Die Bühne, gestaltet von Oliver Helf, ist eine große, zum Publikum geneigte Fläche, die durch eine riesige kugelförmige Ausbeulung dominiert wird, die im Fortlauf des Stückes immer mehr als Abgrund/Loch erscheint. Große Teile der Handlung finden am Rand dieses Loches statt. In emotional-drastisch gespielten Szenen betreten die Schauspieler dieses Loch, verschwinden zum Teil ganz für längere Zeit in seinem toten Winkel, so dass man sich fragt, wann sie die Bühne verlassen haben oder ob da unten ein zweiter Ausgang ist… Die Spieler werden vom Geschehen verschlungen – vom Abgrund verspeist. Eben ein Gang vor die Hunde.
Für die Kostüme wählte Kostümbildnerin Adriana Braga Peretzki zunächst eine „kitschige“ Interpretation der Mode der 20er Jahre, in der das Stück ursprünglich spielt. Mit dem Fortschreiten des Stückes werden die Kostüme jedoch immer ausgefallener, so dass man sich manchmal fast schon an den Modeschöpfer Balenciaga erinnert fühlt. Das Bühnenlicht erscheint von Boris Kahnert ausgefeilt subtil in das Stück integriert und verlässt diese leicht unterstützende Wirkung nur kurzzeitig für eine deutliche farbenfrohe Untermalung der Szenerie. Musikalisch lässt die von Johannes Hofmann arrangierte Musik die Schauspieler das ganze Spektrum der Popkultur von klassischen Stücken bis hin zu Karnevalsliedern ausnutzen.
Dies alles gibt den Schauspielern (Sören Wunderlich als Fabians Freund Labude, Lena Geyer als Fabians Freundin Cornelia Battenberg, Sophie Basse als Irene Moll, Ursula Grossenbacher als namenslose Erfinderin, Imke Siebert als Fräulein Kulp und Jacob Z. Eckstein in diversen Rollen) die Möglichkeit, sich mit starker Bühnenpräsenz voll zu entfalten und die Extrovertiertheit ihrer Charaktere auszuspielen. Besonders der Christian Czeremynch als Jacob Fabian füllt die an Requisiten arme und mit dem zentralen Loch düster einsam wirkende Bühne mit den Emotionen von zarter Hoffnungen und Verzweiflung der Richtungslosigkeit. Gegen Ende des Stückes spielt er ein paar Minuten nackt ohne an Konzentration oder Ausdruck zu verlieren; welche Bedeutung durch diese Nacktszene in dem Stück unterstrichen werden soll, bleibt, wie die gesamte Aussage des Stückes jedem selbst überlassen…
Die Inszenierung von Lamberenz, seine erste in Bonn, ist als Ganzes eine Empfehlung für Zuschauer, die sich gerne auf das Wie der Darstellung konzentrieren.
Jorg Stephan Kahlert
