The Duchess is in the City

Die Bonn University Shakespeare Company zeigt John Websters Rachestück im modernen Kleid und altem Englisch

Eine einsame Bushaltestelle in einer unbekannten Gegend. MALFI steht in großen Buchstaben darauf und dass die Fahrzeiten abweichen können. Malfi existiert nicht, es ist ein fiktiver Ort irgendwo in Italien, vielleicht Sizilien, wo die Mafia ihren Hauptsitz unterhält. Unweit der Bushaltestelle sehen wir den Eingang zu einem schon etwas runtergekommenen Club namens „Duke’s“, dessen Name in großen pinken Buchstaben über dem Eingang leuchtet. Im Hintergrund kann man Details eines altmodischen, aber pompösen Zimmers erblicken. Das Zimmer der Herzogin. Flankiert wird von einem weiteren Zimmer, das durch ein großes Kruzifix und eine schwere Bibel leicht als Gemach eines Geistlichen zu erkennen ist.

In diese Szenerie aus Rotlichtmilieu und Marie-Antoinette-Flair betreten die Schauspieler die Bühne: von Business-Chic bis Zuhälter-Leopardenhemd ist alles dabei nur keine steifen Ballkleider, das frischt das Bild angenehm auf. Passend dazu führen uns Detectiv Dumbrowski (Tinka Albracht) und sein Officer Brikowski (Samuel Pieper) in das Stück ein und verraten uns, was in Malfi gerade so los ist.

Delio (Lukas Albert) hat eigentlich ein ruhiges Leben, bis sein Freund Antonio die Herzogin ehelicht. Foto: (c) Lena Jukna

Regisseur Marc Erlhöfer schreibt selbst im Programmheft, dass er bewusst die Parallelen zu Tarantino-Filmen sucht und sie für seine Adaption von John Websters THE DUCHESS OF MALFI hervorragend geeignet findet. Tatsächlich gilt das jakobinische Theaterstück (1613/14) als Glanzstück des Revenge-Dramas. Doch obwohl Webster in Großbritannien zu den besten englischen Renaissance-Dramatiker zählt (so wie Christopher Marlowe, William Shakespeare, Ben Jonson und Thomas Middleton) wurde keins seiner Stücke in der Spielzeit 2021/22 an einer der großen deutschsprachigen Bühnen gespielt.1 Dabei zeichnen sich seine Stücke, ebenso wie die Shakespeares, durch eine gekonnte Mischung aus Tragik, Humor und Charakterstudien aus. Daher ist es umso erfreulicher, dass die Bonn University Shakespeare Company (BUSC) sich dieses Stoffes angenommen hat.

Im Zentrum des neuen Gangsterdramas stehen drei Geschwister, die unterschiedlicher nicht sein können. Da sind der junge Herzog Ferdinand, seine ebenso junge wie gerade frisch verwitwete Zwillingsschwester, die Herzogin, und deren Bruder, der Kardinal. Die drei Geschwister repräsentieren die geballte aristokratische Macht, die durch den Tod des Schwagers empfindlich ins Wanken geraten ist. Die Brüder sind beide von der Gier nach Macht besessen, so dass sie befürchten, wenn sich ihre Schwester erneut verheirate, ihre Gebietsansprüche an den neuen Ehegatten zu verlieren. Daher schmieden die Brüder das Komplott, ihre Schwester davon zu überzeugen, auf keinen Fall eine neue Ehe einzugehen, da dies angeblich unsittlich wäre. Die Herzogin aber ist von einer solchen offenen Lust (hier darf das Wort gern doppeldeutig gelesen werden) an der Liebe beseelt, dass sie ihren Brüdern zwar Gehorsam vorschwindelt, sich insgeheim aber schon dazu entschlossen hat, ihren in allen menschlichen Belangen edlen, aber nicht standesgemäßen Hofmarschall Antonio zu ehelichen. Mit welcher Entschiedenheit sie ihm das Ehebündnis abnimmt, ist für die damalige Zeit schon fast frivol, aber von einer ehrlichen Liebe getrieben, die sich keine Gedanken um Ränkespiele macht.

Wer eigene Geschwister hat, weiß vielleicht, dass man diesen nicht immer alles glaubt, was sie sagen. Das Misstrauen ist besonders bei Bruder Ferdinand groß, der darum Bosola, einen gerade aus dem Gefängnis entlassenen Gauner, der zuvor für den Kardinal gearbeitet hat, beauftragt, ein Auge auf seine Schwester zu haben. Er soll ihm sofort melden, wenn etwas im Busch ist. Wir verraten sicher nicht zu viel, wenn wir sagen, nach guter englischer Art sind am Ende (fast) alle tot. Wo bliebe sonst die Tragik?

Bosola (Esther Takats) muss immer den Überblick bewahren und sich mit manch schwieriger Gewissensentscheidung quälen. Foto: (c) Lena Jukna

Bosola ist die wahrscheinlich interessanteste Figur im Stück. Obwohl ein Verbrecher, ist im von Anfang an bei seinem Auftrag nicht ganz wohl. Er hadert, will eigentlich sein Leben ändern, doch die das Stück durchdringende Gier lässt alle seine guten Vorhaben im Keim ersticken. So arbeitet er letztlich für den Meistbietendsten, trotz immer wieder zwickendem Gewissen.

Diese große Rolle fiel der „Cast-Oma“, wie sie im Programmheft genannt wird, Esther Takats zu. Es wird ihr letzter Auftritt als Schauspielerin sein, wenn sie auch weiterhin in der Company mitarbeitet. Mit einer ungeheuren diabolischen Gelassenheit folgt sie in ihrer Rolle lange den dunklen Plänen der Brüder ohne Rücksicht auf Verluste, bis der Mordauftrag an der Herzogin ihr kühles Wesen ziemlich aus der Bahn wirft. Hier hat Takats ihren stärksten emotionalen Moment.

Die Duchess, gespielt von Lisa Pohler, glänzt eigentlich durch ihre offen ausgelebte Sexualität, ihre Willensstärke und gleichzeitigem Pflichtgefühl ihren Brüdern gegenüber von denen sie zu lange glaubt, sie könnten ihre Heirat doch noch gutheißen. Der verführerische Aspekt der Herzogin kommt vielleicht etwas kurz in der Inszenierung, dafür werden die kämpferischen Reden umso leidenschaftlicher vorgetragen. Die Rolle ihres Liebhabers und Ehemannes Antonio fiel René Köhl zu. Tugendhaft, aber vollkommen fremdbestimmt durch die Herzogin ist er wohl die mit sympathischste Figur im Stück, die nur durch ihre Sprache zum Tragen kommt, nicht durch ihre Handlungen, weswegen hier besondere Aufmerksamkeit und eine gute Artikulation seitens des Schauspielers gefordert ist.

Die Gangsterbrüder der weltlichen und geistlichen Macht werden von Izzy Langner (Ferdinand) und Bruno Kaut (Kardinal) verkörpert. Sie sind wie zwei Pole eines Magneten – Langner stets unruhig, unter Spannung, neigt zur Überreaktion und Emotionen. Sein Bruder im Spiel Bruno ist dagegen ruhig kalkulierend, eiskalt und neigt dazu seine Versprechen zu brechen. Beide sind darum bemüht, dass man möglichst keine Sympathien für ihre Figuren entwickeln kann. Bei Langner quillt die Lust am Spiel an manchen Stellen vielleicht etwas über dem Maß, doch schreiben wir immer noch von Laienspielern, da darf es gern mal etwas mehr sein.

THE DUCHESS VON MALFI Foto:(c) Lena Jukna
Manche mögen’s heiß. Julia (Laura Quintus) und der Kardinal (Bruno Kaut).
Foto: (c) Lena Jukna

Neben diesem harten Kern gibt es noch einige andere Rollen, die alle dazu beitragen, dass das Schicksal dieser Gangster-Familie ihren unguten Lauf nimmt. So ist Antonios treuer Freund Delio ein wichtiger Beobachter. In der Inszenierung der BUSC sieht er aus wie der Mitarbeiter eines Diners. Lukas Albert spielt seine Rolle des treuen Freundes zurückhaltend, aber mit pointiert trocken-witzigen Einsprenkelungen. Auch Laura Quintus als Julia, die heimliche Geliebte des Kardinals beeindruckt durch ihre kurzen, aber voller Erotik sprühenden Auftritt. Sie und der Kardinal messen in ihrer Affäre immer wieder die Kräfte, wer die Oberhand über den anderen gewinnt, begehren und misstrauen sich gleichermaßen. Das macht großes Vergnügen beim Zusehen! Einen denkwürdigen Auftritt hat auch Christine Decker als Doc Silvio – seine Hilfe wird benötigt, als Ferdinand nach dem Mord an seiner Schwester den Verstand verliert. Doch trotz allerlei Equipment wie einer Zange, einer Nagelkeule und einem Gummihühnchen ist es dem überforderten Arzt nicht möglich, seinen Patienten von der Werwolf-Krankheit zu befreien. Dafür befreit sie das Publikum von ein paar Lachern.

Wo ein Herzogtum, da auch Wachpersonal. Jenes rekrutiert sich aus Dealern, Waffenhändlern, Geldeintreibern, Junkies und natürlich auch dem eigenen „Executor“ – in den Rollen sichtlich Spaß hatten Lukas Schletter, Ruben Fuchs, Hanna Schaefer, Muna und Lina Zubedi sowie Philipp Reeg. Ihr größter Auftritt ist in der Schlussszene, die hier aber nicht vorweg verraten werden soll. Eine Person habe ich nun noch vergessen. Denn auch die Herzogin hat außer ihrem Antonio noch eine Spielgesellin, die ihr bis zu ihrem unvermeidlichen Tod beiseite steht: ihre Zofe Cariola, die von Mia Ruppert mit herrlich strengem Mund gemimt wird. Auf selbigen ist sie auch nicht gefallen, gerät aber beim Anblick des brutalen Todes ihrer Herrin unweigerlich in Panik, sodass sie alle Treueschwüre zum Trotz doch um ihr Leben fleht. Was ihr letzten Endes natürlich nichts nützt, da wir ja ein einem englischen Theaterstück sind, in dem ein Gnadenerweis eher unbeliebt ist. Auch dem Mann Gottes kommt so eines nie über die Lippen. Dazu kommt noch eine knapp 20-köpfige Crew hinter den Kulissen, die sich um die Kostüme, Maske und Bühne gekümmert haben mit ansehnlichem Erfolg.

Die Bewohner vom Malfi und das Personal des Herzogs. Foto: (c) Lena Jukna

Einen kleinen Wermutstropfen müssen wir dieser hochambitionierten Inszenierung aber leider doch ins Glas träufeln, denn trotz der Verlegung in die heutige Zeit, wird das webster’sche Englisch beibehalten. Natürlich sind alle Spieler*innen weit über das C1 Sprachlevel hinaus, dennoch merkte man, dass Wortwitze nicht richtig beim Publikum ankamen, dafür manch andere Szene (ungewollt?) zu Lachern führte. Das ist ein bisschen bedauerlich, da Webster großartige bissige und zielsichere Dialoge geschrieben hat. Ob es nun an der Vorlage Tarantino lag oder ob es ungewollt war, manche der eigentlich ergreifenden Sterbeszenen gerieten etwas zu lustig. Obwohl wir immer sehr dafür sind, wenn man im Theater lachen kann. Da das Stück nicht als Komödie angedacht war, ist zumindest kurz zu fragen, ob es dann sinnvoll ist, dem Rollentod seine Ernsthaftigkeit zu nehmen? Regisseur Marc Erlhöfer hätte dort vielleicht doch an der ein oder anderen Stelle noch etwas nachbessern können.

Doch der Wermutstropfen hat sich längst verflüchtigt. Am Ende steht eine Inszenierung, der man ihre harte Arbeit, die Leidenschaft für das Schauspiel und für das englische Theater anmerkt. An der Premiere flogen reichlich Blumen und unzufrieden wirkte an diesem Abend wirklich niemand. Dennoch der Tipp: Kauft euch entweder das Programmheft (für 2€ erhaltet ihr ein wirklich eine Menge Infos, vor allem aber zu jedem Akt eine kurze Zusammenfassung) oder lest das Stück in einer Übersetzung vorab, wenn ihr euch nicht im Englischen ganz wie zuhause fühlen solltet. Es ist das alte Englisch, es ist ungewohnt und in den leidenschaftlichen Mono- und Dialogen fließt manchmal die ein oder andere Silbe ineinander. Und es macht gleich doppelt so viel Spaß, wenn man nicht nur der Handlung grob, sondern auch inhaltlich voll auskosten kann.
Lasst euch jedenfalls nicht die Gelegenheit entgehen, dieses eher rare Theaterstück einmal auf der Bühne zu erleben!

Rebecca Telöken

1 Angaben nach der neusten vom Deutschen Bühnenverein veröffentlichten Werkstatistik, die man sich beim Verlag bestellen kann.

Ferdinand (Izzy Langen) will die macht, spürt sich aber auch zu seiner Schwester hingezogen. Foto: (c)Lena Jukna