Mit den „Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull“ schrieb Thomas Mann eine Parodie der Autobiografie und der bürgerlichen Welt. Das letzte Werk Manns blieb ein Fragment und gibt daher viel Interpretationsspielraum. Das zeigt ebenfalls die Bonner Version, bearbeitet von John von Düffel, auf der Werkstattbühne. Die Inszenierung der Regisseurin Hanna Müller gehörte zu den Publikumslieblingen der letzten Spielzeit und wurde im September wieder in den Spielplan genommen.
Wer aber ist jetzt dieser Felix Krull? So genau lässt sich die Frage zunächst gar nicht beantworten. Bereits als Kind war Felix (Paul Michael Stiehler) am einen Tag ein fröhliches Sonntagskind, am anderen ein Kaiser, der mit seiner Krone spielt, oder ein kranker Patient, der im Bett bleiben musste, statt in die Schule zu gehen. Für den Sohn eines Schaumweinfabrikanten war bereits früh klar, dass er aus einem feineren Holz geschnitzt ist. Auch die Methoden und Wege der Täuschung erlernt der pfiffige Felix bereits im Kindesalter, da sein Vater edle Etiketten verwendete, um das billige Gesöff in seinen Flaschen zu dekorieren. Als ihm sein Schwindel zum Verhängnis wird und die Firma bankrott geht, nimmt sich der Vater das Leben – daraufhin erwirkt sein Sohn für ihn ein ehrenvolles Begräbnis beim Pfarrer und täuscht den Militärarzt durch einen epileptischen Anfall. Felix’ neues Ziel ist ein Luxushotel in Paris. Dort stiehlt und betrügt er sich schließlich vom Gehilfen und Liftboy zum hochangesehenen und verehrtem Edelmann, verführt die Hotelgäste (Lena Geyer, Sören Wunderlich) und nennt sich Armand. Während einer Weltreise, bei der er eine gänzlich fremde Identität annimmt, macht er Bekanntschaft mit dem Professor Kuckuck (Lydia Stäubli, Premierenbesetzung: Ursula Grossenbacher), der ihn zum Nachdenken bringt…
Auch die Bühne (Sebastian Ellrich) wird zu einem Luftschloss der Täuschung in Purpur, der Farbe der Reichen und des Luxus. Von der hinteren Bühnenwand bis zur ersten Reihe ist ein purpurner Teppich, mit feinen silbernen Fäden durchzogen, ausgerollt. Der hintere Teil der Bühnenwand wird dabei zur Produktionsfläche von Videoaufnahmen von Felix, die wohl seine Außenwirkung und sein angestrebtes Bild verdeutlichen sollen. In der Bühnenmitte erstreckt sich der verspiegelte 3D-Schriftzug „cuvée“ (frz. für Schaumwein), der im Laufe des Abends sowohl zum Catwalk oder Zugabteil, zur Gebetsbank, oder dank der verspiegelten Vorderseite im wahrsten Sinne des Wortes zum Spiegel der Gesellschaft wird. So wie sich Felix Krull seine Geschichten im passenden Licht (Johanna Salz) zurechtlegt, verwandelt sich auch der Schriftzug in die verschiedenen Schauplätze, kreiert und zerstört die Illusion vor den Augen des Publikums, um als Spielplatz der Täuschung die verschiedenen Szenarien durchzuspielen.

Die Kostüme sind zwar Ton in Ton mit der Bühne gehalten, aber klar als Jacke des Portiers, des Militärarztes oder des Edelmanns zu erkennen; auf diese Weise helfen sie, die Hotelgäste, den Militärarzt und den Edelmann zu identifizieren. Auch für musikalische Momente sorgten Anna Hirsch (Musik) und Selly Meier (Choreographie), die in kleinen Tanzszenen die Schwindeleien von Felix illustrieren oder seine Unsicherheit zur Schau stellen und konterkarieren (Dramaturgie: Susanne Röskens).
Besonders beeindruckend an diesem Abend ist die Leistung des Schauspielensembles, allen voran Stiehler in der Titelrolle des Felix Krull. Mit einer französischen Charmeoffensive, einer unübersehbaren Nonchalance und Unbekümmertheit und ausdrucksstarken Modelposen wird er zum Komplizen des Publikums. Auch seine Kolleg*innen stehen ihm in nichts nach und lassen sich als Hotelgäste, Militärarzt und Edelmann mit viel Witz und Bravur sehr unterhaltsam von Felix Krull blenden und um den Finger wickeln. Darüber hinaus schlüpft das Ensemble in Sekundenschnelle in andere Rollen, ohne dabei die Illusion zu zerstören. Dabei beeindrucken nicht nur die Sprachkenntnisse und Akzente der Spieler*innen, sondern vor allem ihre Darstellung der Ironie des Stücks – vom Schein und Sein ist hier das Motto, da vieles auf der Bühne einfach nicht da ist und dazu gedichtet, entfremdet und umfunktioniert wird. So wird der Flusenteppich zur maunzenden Katze und der Schriftzug auf der Bühne zum Bett.
Diese Ironie macht gleichzeitig den Charme der Inszenierung aus, da sie mit einer amüsanten Selbstverständlichkeit zur Schau stellt, dass auch jeder Theaterabend irgendwie ein bisschen betrügt. Stets getreu dem Motto „Sind wir nicht alle ein bisschen Felix Krull?“ wird Hannah Müllers Inszenierung zum Spiel mit dem Theater selbst. Die Antwort auf diese Frage lautet wohl: Fake it until you make it! Bei der hervorragenden Inszenierung und der großartigen Leistung des Ensembles ist jedoch kein Schein nötig – hier hätte auch Felix Krull Spaß, denn der kurzweilige 90-minütige Abend ist ein Fest des Einfallsreichtums. Besonders gegen Ende des Stücks wird es nach all dem Witz auf der Bühne aber auch überraschend philosophisch und gesellschaftskritisch – das Bühnenbild glitzert weiter, während Felix selbst sein Fazit zieht: „Ich bin alles, was ich sein wollte, und weiß nichts von mir, gar nichts, nur ein paar Namen.“ Ein wohlverdienter Publikumsliebling!
Kim Sterzel
