Theater Rampös feierte gelungene Inszenierung von EIN STÜCK PLASTIK in der Brotfabrik
Es gibt Menschen auf Erden, die scheinen Inkarnationen von Engeln zu sein. Sie werden nie sauer, sie verstehen, was in dir vorgeht, sie hören zu und fragen nicht unangenehm nach. Wie ein Wesen aus einer anderen Welt muss auch Jessica Schmitt (Lucky Setyarini) ihren Arbeitgebern vorgekommen sein, als sie die Putzstelle bei einer dreiköpfigen Familie annimmt. Der unsichere Familienvater und Arzt Michael (Jan-Hendrick Schrötter) befindet sich mit seiner Gattin Ulrike (Simone Nowotny) in einer handfesten Ehekrise. Ulrike ist die Assistentin des berühmten Konzeptkünstlers Jonathan Mese, der sich selbst lieber Serge Haulupa (Alexander Bluhm) nennt. Dieser steckt ebenfalls in einer Schaffenskrise oder wie er es bezeichnet in einem Depressionsburnout. Zur Familie gehört auch noch Sohn Vincent (Tom Bierwirth), der ein ebenso trostloses wie unbemerktes Leben neben seinen Eltern führt, das er mit seiner Handykamera dokumentiert. Als Jessica nun ihre Stelle antritt, sieht sie sich zuerst mit dem Misstrauen von Ulrike und der Ablehnung von Vincent konfrontiert, behauptet sich aber durch ihre fast naive, aber unerschütterliche Art. Doch gerade liebgewonnen, wird sie gleich von allen Familienmitgliedern auf ihre jeweilige Weise vereinnahmt. Was im ersten Moment noch einen Hauch melodramatisch anmutet, ist jedoch im Gegenteil ein sehr perfides Spiel, denn keines der Familienmitglieder ist ein unbescholtenes Blatt. Vincent erzählt Jessica von seiner Vorliebe für roten Nagellack, filmt sie aber heimlich beim Duschen. Ulrike unterstellt ihr zu klauen und plappert im nächsten Moment ungeniert von ihrem eingeschlafenen Sexleben. Michael legt sogar eine ganze Beichte bei ihr ab, als er ihr gesteht, immer nur zum Schein bei „Ärzte ohne Grenzen“ mitmachen zu wollen, um sich etwas Respekt von seiner Frau zu verdienen, doch in Wahrheit möchte er auf keinen Fall sein Leben irgendwo im Dschungel lassen. Als er tatsächlich Post von besagter Organisation bekommt, die ihn nach Guinea einlädt, gerät er in Panik. Die Situation, die bisher nur zwischen den Ehepartnern erhitzt war, bekommt schließlich noch eine eigene Dynamik, als sich besagter Künstler Serge plötzlich als Dauergast bei der Familie einnistet. Nicht nur fällt Serge durch seine sehr bunten und ausgefallenen Klamotten auf, sondern er provoziert zudem unheimlich gern Michael, macht Ulrike zur Schnecke und erwählt zu guter Letzt noch Jessica zu seiner neuen Muse. Da kann es nur noch krachen.

Das Stück von Marius von Mayenburg lebt von seinen scharf-komischen Streitgesprächen, die es ins ich haben. Dem Ensemble gelingt es grandios die erbarmungslosen Texte umzusetzen: Die Pointen sitzen und die Emotionen kochen ordentlich auf der Bühne. Besonders Nowotny und Bluhm legen eine Energie an den Tag, die auch noch den letzten Zuschauer im Saal erreicht. Setyarini agiert zwar eher hintergründig, wie ein fleißiges Heinzelmännchen, aber lässt das Publikum dadurch besondere Sympathien mit ihr hegen. Viel jubelnden Applaus gab es auch für Bierwirth, als dieser sich am Ende im Abendkleid zeigte.
Dass viel Liebe in dieser Inszenierung steckt, sah man auch an dem aufwendigen Bühnenbild. Aus dem spießigen Bürgerhaus wird nach und nach ein Kunst-Schlachtfeld. Zum einen, weil Serge immer mehr seiner Kunstwerke ins Haus schmuggelt. Bald ist jede freie Ecke mit einer Kuriosität verschönert (Kunst: Till Meurer). Zum anderen, weil auch bei dem ein oder anderen Abendessen mal das Gemüse durch die Gegend fliegt. Und immer putzt Jessica besonnen und ohne zu meckern den Dreck weg. Das erinnert in mancher Hinsicht vielleicht an den berühmten Fettfleck von Jospeh Beuys, der einst ebenfalls einer Putzfrau im Museum zum Opfer fiel. Hier rührt auch der seltsame Titel EIN STÜCK PLASTIK her. Er spielt auf Serges Kunstwerk „Soziale Plastik“ an, die Jessica zeigen soll, wie sie jeden Dreck, den die Menschen verursachen, in ihrer ruhigen stoischen Art wegputzt.
In seiner Dynamik erinnert das Stück von Marius von Mayenburg an Sozialkomödien wie die von Yasmin Reza. Hier ist auch die Namensähnlichkeit sowie die Thematik zwischen von Rezas Stück KUNST und dem Mayenburgs nicht zu verkennen. Das Regieteam Andrea Bühring und Katrin Schüring hat jedenfalls ganze Arbeit geleistet, um eine gelungene Komödie mit ordentlich Zunder auf die Bühne zu bringen. Komödien waren schon immer einer der schwierigsten Formen des Schauspiels, denn Humor ist eine komplexe Angelegenheit – so komplex wie EIN STÜCK PLASTIK.
Rebecca Telöken
