GEHEN SIE WIRKLICH NIE INS KINO?

In der Studiobühne Siegburg geht Privatermittler Phil Dick
auf Verbrecherjagd

Mancher kennt das vielleicht. Da sitzt man spät abends noch vorm Fernseher und wenn man nicht gerade gezielt nach einem Film bei seinem Streaminganbieter sucht, sondern durch die Sender zappt, dann kann es passieren, dass man plötzlich über einen alten Schwarz-Weiß-Streifen stolpert. Da ist der abgebrannte, aber coole Privatschnüffler, da sind die schönen Klientinnen, die es faustdick hinter den Ohren haben, da sind wilde Prügeleien und Schießereien. Diese Elemente, die in vielen Beispielen des in den 1940er und 50er Jahren florierenden Film noir-Genres immer wieder auftauchen, sind so bekannt, dass selbst diejenigen, die noch nie einen der großen Filme wie „Der Malteser Falke“ oder „Laura“ gesehen haben sollten, schnell in das Thema einsteigen können.

Das Ensemble der Studiobühne Siegburg hat unter der Regie von René Böttcher ein die große Zeit der knallharten Krimiverfilmungen persiflierendes Stück von Tony Dunham auf die Bühne gebracht, das kein Klischee auslässt. Der durchaus provokante Titel SCHNÜFFLER, SEX UND SCHÖNE FRAUEN irritiert auf den ersten Blick aufgrund seiner Direktheit, aber spricht allerdings offen aus, um was es nun einmal häufig beim Film noir geht.

Auch Anrufe von Unbekannten gehören mit zum Geschäft. Christoph Wolff als Phil Dick. Foto: (c) Studiobühne Siegburg

Wer hier schon schluckt, dem wird vielleicht die Kinnlade herunterklappen, wenn die drei Schauspieler*innen Christoph Wolff, Billie Barleben und Samuel Küßner dem Publikum zu Beginn ihre knapp fünf minütige Trigger-Warnung herunterbeten. Ja, in der heutigen Zeit wären die Filme der frühen amerikanischen Nachkriegszeit wahrscheinlich nie produziert worden. Nicht nur wegen des hohen Konsums an Alkohol und Zigaretten und der klaren Rollenverteilung zwischen (vermeintlich) harten Männern und schwachen Frauen. Doch nachdem über alle Arten von möglicherweise verstörenden Elementen – von Geräuschen, kultureller Aneignung, Clowns bis hin zur wirtschaftlichen Not – ausführlich informiert wurde, darf der wichtigste Warnhinweis nicht fehlen: „Vorsicht vor dem Leben; es endet tatsächlich“.

Und damit beginnt schließlich die Geschichte von Privatdetektiv Phil Dick (Christoph Wolff), der gerade gelangweilt in seinem Büro Golf spielt, als die vermutlich schöne (man sieht anfangs wegen eines überdimensionalen Schlapphutes ihr Gesicht nicht) namenlose Frau (Billie Barleben) mit einem auf den ersten Blick harmlosen, aber gut bezahlten Auftrag hereinschneit. Dicks bissig-sarkastisch Gedanken werden ab da immer wieder als Stimme aus dem Off eingespielt. So wie in den guten alten Filmen. Für den Profi-Schnüffler ist sofort klar, dass die Unbekannte ein Geheimnis vor ihm verbirgt, das ihm noch Ärger einhandeln könnte. Natürlich muss es so kommen. Schon bald kriegt er nicht nur Besuch von der Polizei, sondern auch von Auftragskillern und (z. T. mit ihm flirtenden) Schurken – allesamt durch Samuel Küßner verkörpert.Die wilde Jagd nach einem Erbstück mit zweifelhaften Ruf beginnt.

In der Inszenierung von René Böttcher spürt man noch den Flair der alten Filme, vor allem, wenn die dazu passende Musik aus „Laura“, Hits von Frank Sinatra oder Ricky Nelsons Lonesome Town eingespielt werden. Die Musik erklingt aber nicht nur vom Band, sondern alle drei Schauspieler*innen singen auch live auf der Bühne. Geschickt wird zudem die Stimmung durch den Einsatz von Rot- und Blaulicht gesteuert sowie zugleich die Beziehung der Protagonisten zueinander verdeutlicht – leidenschaftlich rot oder eiskalt blau.

Am besten arbeitet man nachts – Sonnenbrillen sind ein Tageszeiten unabhängiges Accessoire. Foto: (c) Studiobühne Siegburg

Das gesamte Stück ist gespickt von Zitaten und Anspielungen aus verschiedenen Filmen. Bei Komödien ist vor allem das Timing wichtig und da sind alle drei Darsteller*innen auf dem Punkt. Einer der vielen kleinen Höhepunkte ist die Begegnung zwischen Dick und dem zwielichtigen Mr Green. Sie sitzen sich auf einem Sofa gegenüber, aber ihre Unterkörper sind nicht sichtbar, statt dessen werden per Videoinstallation andere Unterkörper projiziert. Nun sehen die Zuschauer, wie Mr Green nicht gerade schüchtern Dick füßelt, dem das nicht so ganz geheuer ist. Die Kabbeleien zwischen Barleben und Wolff versprühen zwar weniger Erotik, dafür viel Charme und wenn der eine den anderen wieder sprachlich Schachmatt gesetzt hat, muss man einfach Kichern.

Ein Running Gag, der ebenfalls der Persiflage geschuldet ist, ist der mehrmals im Stück wiederholte und stets an Dick gerichtete Satz: „Gehen Sie wirklich nie ins Kino?“ Was den Spaß natürlich auf die Spitze treibt, denn anscheinend haben alle Figuren außer Dick verstanden, was im Sinne des Film noir von ihnen erwartet wird.

Wer viel mit dem Genre spielt, der läuft Gefahr, dass dies auf Kosten des Inhalts geht. Allerdings ist das auch gleichzeitig das Ziel der Persiflage. Durch die Verdichtung aller Klischees wird überdeutlich, dass es in den meisten Vorlagen der „schwarzen Serie“ auf den Inhalt gar nicht ankam (Alfred Hitchcock „MacGuffin“ lässt grüßen), sondern auf das Spiel mit Licht und Schatten in einer durch und durch korrupten Gesellschaft und dem gebrochenen Helden als moralischen Sieger.

Das Stück geht gut anderthalb Stunden plus Pause. Das Publikum bekundete mit vielen Zwischenlachern, vor allem aber auch durch guten und jubelnden Applaus, dass der Abend durch das überzeugende Spiel, das besonders im Falle von Küßen sehr abwechslungsreich war, viel Anklang gefunden hat.

Rebecca Telöken

Weitere Vorstellungen am 10.01.26 / 25.01. 26 / 14.03.26 / 28.03.26 und auf der Seite der Studiobühne